„Man kann die Natur mit einer Forke vertreiben, aber sie kehrt immer wieder zurück.“
(Horaz)
Der Mensch hat schon viel Natur von ihrem Platz vertrieben. Doch unter all den traurigen Beispielen finden sich auch einige, welche ihre unerschöpfliche Kraft und ihre enorme Anpassungsfähigkeit beweisen. Sie machen Mut, denn es ist noch längst nicht alles verloren. Manchmal müssen wir ein wenig Starthilfe geben. Dann enstehen Erfolgsgeschichten wie die des Bibers.
Biber im Kurpark Bad Nauheim
2007 wanderte der erste Biber in den Kurpark Bad Nauheim ein. Das Tier war zunächst scheu und zeigte sich nur selten. Fraßspuren entlang des Ufers am großen Teich und der vorbeifließenden Usa wiesen jedoch auf regelmäßige Aktivitäten hin. Trotz täglichem Besucheraufkommen entschied der Biber zu bleiben und gewöhnte sich allmählich an Beobachter. Aufgrund der Größe wurde der Biber als Weibchen eingeschätzt und Molly genannt. Molly legte zwei Bauten an und war stets ein unkomplizierter Nachbar im Kurpark.
2014 fand Molly ihr Liebesglück. Nach vielen Jahren der Einsamkeit gesellte sich ein Männchen zu ihr, das im Rahmen eines Wettbewerbs vom Erna-Ente-Team auf den Namen Bobby getauft wurde. Die Anwesenheit des zweiten Bibers machte sich vor allem durch deutlich gesteigerte Fällaktivitäten bemerkbar, denn das frisch gebackene Liebespaar brauchte viel Baumaterial, um Mollys Singlewohnungen zu erweitern.
2015 stellte sich der erste Nachwuchs ein. Das Revier der Biberfamilie erweiterte sich und umfasst heute den gesamten großen sowie kleinen Teich und den durch den Park fließenden Abschnitt der Usa bis zum Golfplatz hinaus. Die Hauptaktivitäten konzentrieren sich allerdings auf das flache Ufer des großen Teichs sowie die Inseln. Die Biber legten einen dritten, kleinen Bau in der Nähe des Erstbaus an.
In den folgenden Jahren wurde Molly wieder Mutter. Jedes Jahr wurde sie am Ende ihrer Trächtigkeit tagsüber von Besuchern beobachtet. Vor allem 2017 glänzte Molly groß in der Presse und gewann viele Fans in der ganzen Region. Die Nachricht von ihrer dritten Mutterschaft und die ersten Bad Nauheimer Babybiberfotos schafften es sogar ins Fernsehen.
Biber beobachten – So geht’s
Da der Kurpark stark von Besuchern frequentiert wird und die Tiere auch zu ihren Aktivitätszeiten immer mal wieder Menschen begegnen, haben sie eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit uns Zweibeinern entwickelt. Das führt dazu, dass die Kurparkbiber relativ gut zu beobachten sind. Nichtsdestotrotz handelt es sich um wilde Tiere, die eine gewisse Vorsicht walten lassen und nicht gestört werden wollen. Das Wichtigste auf Bibertour ist deshalb, ruhig zu sein und genug Abstand zu halten, um die dicken Nager nicht zu erschrecken.
Ruhe bewahren
Die Biber sind nicht scheu, aber sie sind vorsichtig. Sie dulden Menschen bis auf wenige Meter Distanz, wenn diese sich ruhig verhalten und keine hektischen Bewegungen machen. Da die Kurparkbiber streng nachtaktiv sind, lohnt es sich eine Taschenlampe mitzunehmen. Die Tiere sind nicht lichtscheu, aber sie mögen natürlich nicht dauerhaft angeleuchtet werden. Den Strahl der Taschenlampe langsam auf das Tier richten und nach einem Moment wieder ausschalten.
Der richtige Ort
Die Biber verlassen ihren Bau bei Dämmerung. Wenn es dunkel wird und die Tiere zur Nahrungssuche ausschwärmen, können sie oft von den Angelstegen aus gesichtet werden. Es lohnt sich, schon bei Tageslicht einen Rundgang zu machen und nach frischen Fraßspuren zu suchen. Oft kehren die Biber mehrere Nächte hintereinander an die gleichen Stellen zurück. Dort kann man sich dann mit etwas Abstand auf die Lauer legen.
Ohren auf!
Biber sind alles andere als leise Tiere. Wenn die plumpen Nager sich durch das Gebüsch oder den Uferbewuchs bewegen, raschelt und platscht es unverkennbar. Beim Fressen erzeugen die scharfen Schneidezähne deutliche Nagegeräusche und wenn die Tiere einen Baum in Arbeit haben, sind die Fällarbeiten über viele Meter hinweg gut hörbar. Wer auf Bibersuche ist, sollte also vor allem die Ohren aufsperren.
Bibermanagement in Bad Nauheim
Biber waren über 200 Jahre fast vollständig aus Deutschland verschwunden. Viel Zeit für den Menschen, die Umgebung nach seinen eigenen Wünschen zu gestalten und zu verlernen, was es bedeutet, mit dem Bibern als Nachbar zu leben. Nun, wo die großen Nager zurückgekehrt sind und immer mehr ihrer ursprünglichen Lebensräume wiederbesiedeln, treten manchmal Konflikte auf. Zum Beispiel dann, wenn sie Erdhöhlen graben, die Straßen, Wege oder Hochwasserschutzdämme unterminieren. Oder wenn das Aufstauen von Gewässern keinen wertvollen Lebensraum für Biber und viele seltene Tier- und Pflanzenarten mehr bedeutet, sondern überflutete Äcker. Wenn es sich bei den gefällten Bäumen ausgerechnet um den Bestand einer Obstbaumplantage handelt. Ein Bibermanagement hilft, zwischen den Interessen von Mensch und Tier zu vermitteln und ein harmonisches Miteinander zu ermöglichen. Im Bad Nauheimer Kurpark, einer vom Menschen gestalteten und genutzten Fläche, werden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um sowohl Bibern, als auch Besuchern gerecht zu werden.
Prävention
Der schützenswerte Baumbestand wird auf zwei Weisen gesichert: Zum einen Teil durch Drahtmanschetten, die mit Abstand zum Stamm angebracht werden, sodass Nagen durch das Gitter verhindert wird. Andere Bäume werden durch das Anbringen einer Schutzpaste geschützt. So kann die Fällung von Bäumen, die wichtig für die Uferbefestigung sind oder durch Instabilität die Verkehrssicherheit gefährden könnten, verhindert werden.
Akutmaßnahmen
Gelegentlich ist trotzdem ein direktes Eingreifen nötig, um die Verkehrssicherheit zu gewähren. Dann werden angenagte Bäume gefällt und am Ufer abgelegt, damit die Biber das Material nutzen können.
Überwachung, Kooperation
Die Aktivitäten der Biber werden regelmäßig durch das Erna-Ente-Team und den Kur- und Servicebetrieb kontrolliert. Jährlich setzen sich Experten zusammen und beraten über das Vorgehen. Dabei wird mit dem zuständigen Biberbeauftragten Hessen kooperiert.
Öffentlichkeitsarbeit
Aufklärung ist ein maßgebliches Instrument, um in der Bevölkerung Akzeptanz für wilde Tiere zu schaffen. Beim täglichen Erna-Ente-Treff kann jeder seinen Wissensdurst über Biber stillen. Der Kurpark als Lebensraum der Biber kann geführt bei den Erna-Ente-Safaris erkundet werden. Aktuelle Sichtungen oder besondere Ereignisse werden über die sozialen Medien und die lokale Presse mitgeteilt.
Biologie des Bibers
Der Europäische Biber (Castor fiber) ist Europas größtes Nagetier. Er kann bis zu 30 Kilogramm wiegen und eine Gesamtkörperlänge von 1,30 Meter erreichen. Unverwechselbar ist der breite, abgeflachte und schuppige Schwanz, der als Kelle bezeichnet wird. Der Schwanz nimmt beim Schwimmen die Funktion eines Steuers ein und wird drüber hinaus vielseitig als Stütze, Wärmeregulator, Fettpolster oder Warnsignal (ein Schlag auf die Wasseroberfläche erzeugt ein lautes Klatschen) genutzt. Als reiner Vegetarier ernährt der Biber sich von Trieben von Weichhölzern, Blättern, Rinde, Gräsern, Kräutern und Wasserpflanzen. Die Schneidezähne des Bibers wachsen ein Leben lang und werden durch das Nagen beim Fällen und Fressen abgerieben. Der Biber hat auffällig rot-orangene Nagezähne. Eiseneinlagerungen im vorderen Zahnschmelz sorgen nicht nur für diese Färbung, sondern vor allem für mehr Härte.
Biber sind wahre Meisterarchitekten. Sie gestalten ihren Lebensraum durch Baumfällungen und Dammbauten nach ihren Bedürfnissen. So lassen sie Auenlandschaften entstehen, die extrem artenreich sind und vielen stark bedrohten Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bieten. Als Wohnstube errichten Biber Erdbauten im Uferbereich, die sie mit aufgeschichtetem Holz verstärken, oder Biberburgen aus aufgehäuftem Baumaterial. Der Eingang liegt immer unter Wasser, damit Feinde nicht ins Innere des Baus eindringen können. Der Bau ist unterteilt in Trocken-, Fress- und Schlafbereiche. In der Regel haben Biber mehrere Bauten, die abwechselnd bewohnt werden. Die Dämme, die Biber bauen, garantieren einen gleichbleibenden Wasserstand und verhindern damit, dass der Eingangsbereich der Höhle trocken fällt und für Feinde zugänglich wird. Über ihre Dämme können Biber den Wasserstand ihres Gewässers sogar selbstständig regulieren, indem sie Teile davon öffnen, um Hochwasser ablaufen zu lassen, oder schließen, um mehr Wasser anzustauen und den Wasserstand zu heben.
Biber sind gesellig und leben in Familienverbänden. Die Eltern bleiben lebenslang zusammen und teilen sich das Revier mit ihrem aktuellen Nachwuchs und den Jungtieren aus dem Vorjahr. Die Zweijährigen verlassen ihre Kinderstube mit Erreichen der Geschlechtsreife und suchen sich ein eigenes Revier. Dabei können sie weite Strecke wandern, wenn in direkter Nachbarschaft kein passendes Territorium frei ist. Biber bringen im Frühjahr durchschnittlich zwei bis drei Junge zur Welt, die nach etwa acht Wochen den Bau verlassen und mit der Familie erste Ausflüge machen. Die Babys können schon schwimmen, müssen aber das Tauchen erst lernen.
Biber sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz eine streng geschützte Art. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden sie in ganz Europa nahezu ausgerottet. Ihr dichter Pelz und ihr Duftstoff, Bibergeil genannt, waren hoch begehrt. In Deutschland überlebte nur eine kleine Population an der Elbe. Dank gezielter Wiederansiedlungsprogramme sind Biber heute wieder in vielen europäischen Ländern zuhause und besiedeln auch in Deutschland wieder alle Bundesländer. Jetzt sind sie vor allem durch stark ausgebaute Gewässer, wo sie keinen Schutz vor Hochwasser finden, durch Gewässerverschmutzung, Straßenverkehr und wildernde Hunde gefährdet.